Freitag, 23. Mai 2014

"Wie geht es Ihnen denn eigentlich?"

Im Rahmen meines Praktikums muss ich ein Grundschuldidaktik-Seminar mit dem Titel „Analyse und Planung“ besuchen. Zu Beginn des Semesters konnte ich mir unter diesem Seminar nichts vorstellen und sah auch keinen Sinn darin. Schließlich gibt es ja bereits ein Begleitseminar zum Praktikum in dem Fach, das man gewählt hat. Wozu also noch eins?

In der ersten Sitzung gestand unser Dozent den Seminarteilnehmern: „Ich weiß nicht, warum Sie dieses Seminar besuchen müssen. Auch mit dem Titel „Analyse und Planung“ kann ich ehrlich gesagt nicht viel anfangen. Ich habe mich gefragt, welchen Sinn dieses Seminar für Sie haben soll. Aber letzten Endes ist es doch so: Sie müssen das Seminar besuchen und ich muss es unterrichten. Also habe ich versucht, der Veranstaltung einen Sinn zu geben.“ Und das hat er getan. Anstatt Woche für Woche irgendwelche Theorien zu wälzen, kommt nun regelmäßig eine Seminarrektorin zu uns. Zum ersten Mal während meines Studiums spricht jemand wirklich mit uns über das, was im Referendariat auf uns zukommt. Und das Erstaunliche daran: Nicht nur wir können von ihr lernen, auch sie möchte von uns lernen.

„Wie geht es Ihnen denn eigentlich an der Uni?“ fragt sie uns heute.
Verwirrtes Schweigen. Das hat uns noch nie jemand gefragt. Ist das eine Fangfrage?
„Ich habe meine eigene Studienzeit als relativ entspannte Zeit des Ausprobierens erlebt,“ erläutert sie, „ich wüsste gerne, was sich verändert hat seitdem. Ich möchte wissen, was Sie von dem ersten Ausbildungsabschnitt halten, ob Sie sich wohl fühlen, kurzum: wie Sie also drauf sind, wenn Sie dann nach Ihrer Zeit an der Uni bei uns ankommen.“
Die erste zaghafte Meldung: „Ich fühle mich ziemlich überfordert und unter Druck. Ständig muss ich Leistungsnachweise erbringen, Klausuren schreiben, Referate halten, Portfolios abgeben. Und am Ende steht immer der Druck, die nötigen Punkte zu erhalten und eine gute Note zu bekommen, denn die entscheidet ja irgendwann einmal über unsere Anstellung.“
Weitere Finger gehen nach oben.
„Mein Unterrichtsfach nimmt viel zu viel Zeit in Anspruch. Und ich verstehe den Sinn nicht. Das, was ich da lerne, werde ich in der Grundschule nie brauchen.“
„Mir fehlt die Zeit für die Dinge, die mich wirklich interessieren und die ich gerne machen würde. Weil man so viel machen MUSS, bleibt keine Zeit mehr für das, was man machen WILL.“
„Ich habe jeden Tag von acht bis um vier Uni. Manchmal auch bis um sechs. Wenn ich dann nach Hause komme, bin ich vollkommen fertig.“
Es ist, als wäre ein Damm gebrochen. Plötzlich hat jeder etwas zu sagen. Mir kommt es fast so vor, als hätten wir alle nur darauf gewartet, das endlich mal jemand fragt, wie es uns geht.
„Neben Uni und Praktikum noch Zeit zum Arbeiten zu finden, ist kaum möglich. Ich muss aber arbeiten, irgendwie muss ich mich ja auch finanzieren.“
„Ich habe das Gefühl, wir lernen viel zu viele unwichtige Sachen. Ich hätte gern mehr Didaktikfächer, dafür aber weniger Unterrichtsfach. Deutsch beispielsweise – so ein elementares Fach in der Grundschule! - kommt viel zu kurz in unserem Studium.“
„In meinem Hauptfach fallen in den Klausuren regelmäßig 60% der Studenten durch. Und die, die bestehen, haben entsprechend schlechte Noten. Und diese Noten verschlechtern dann meinen Notenschnitt. Dabei sagen sie doch überhaupt nichts darüber aus, ob ich eine gute Lehrerin sein werde oder nicht.“
„Mir fehlt Zeit zum Ausspannen. Da wir in den vergangenen Semesterferien Praktikum hatten und in den Schulferien Uni haben, haben wir nie Ferien, in denen wir mal wieder Kraft tanken könnten.“
„Wir müssen viel zu viel in zu kurzer Zeit machen.“
„Viele Vorlesungen sind so theoretisch, dass sie mir vollkommen überflüssig erscheinen. Diese Zeit könnte man mit praxisnahen Übungen viel sinnvoller nutzen.“
„Ich habe nie das Gefühl, einfach mal mit etwas fertig zu sein. Habe ich eine Aufgabe erledigt, warten schon wieder zwei weitere.“
Und so geht es immer weiter. Zu wenig Zeit, zu schnelles Voranschreiten, überfüllte Stundenpläne, Druck, Noten, Probleme mit dem Unterrichtsfach, die Frage nach dem Sinn,... Wenn einer etwas sagt, nicken die anderen zustimmend. Irgendwie sind wir uns alle einig: Es ist einfach insgesamt zu viel.

Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Nur ändern können wir leider nichts.

Montag, 19. Mai 2014

Das Drama um den Hortplatz, Teil 2

Ich hatte ja schon über das Drama berichtet, dass sich alljährlich bei der Suche nach einem Betreuungsplatz abspielt (Alle Jahre wieder: Der Kampf um einen Betreuungsplatz ). Mein aktuelles Drama – der Kampf um einen Hortplatz – ist mittlerweile in die nächste Runde gegangen:
Tatsächlich fand ich vor ein paar Wochen einen Brief mit dem ersehnten grünen Fenster in meinem Briefkasten: Eine Zusage der Stadt München! Ernüchterung jedoch beim Öffnen des Briefes. Julian hat nicht etwa einen Platz im Hort seiner Schule bekommen, sondern die Zusage stammte aus dem Hort der nahe gelegenen Hauptschule.
Ich rief dort an und fragte nach. Im Grundschulhort gäbe es keine freien Plätze, informierte man mich, es lägen 80 Anmeldungen für 18 freie Plätze vor. Ich wollte wissen, nach welchen Kriterien diese Plätze vergeben werden. Man sagte mir, Vorrang bei der Vergabe hätten 1. Kinder, die in die erste Klasse kommen (ja, das tut Julian), 2. Kinder, bei denen die betreffende Schule die Sprengelschule sei (ja, ist sie) und 3. Kinder, deren Eltern entweder beide berufstätig sind oder deren alleinerziehender Elternteil berufstätig ist (ich bin zwar in Ausbildung, aber das gilt auch). Alle Kriterien treffen also auf Julian zu. Warum er trotzdem keinen Platz bekommen hat? Wenn es mehr Anmeldungen als Plätze gibt und alle die Kriterien erfüllen, entscheidet das Los, behauptete man. Ich hätte wohl Pech gehabt beim Losen. Ich wundere mich: Ich weiß, dass es Kinder gibt, deren Mütter nicht arbeiten, die diesen Hort besuchen. Und Kinder, die eine andere Schule besuchen als die zum Hort gehörige. Warum haben die einen Platz und ich nicht? Darüber konnte man mir leider keine Auskunft geben.
Aber es sei ja nun eine Lösung gefunden worden, hieß es dann. Julian solle einfach nach der Schule in den Hort der Hauptschule gehen.
Versteht mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Hauptschüler, ganz und gar nicht. Aber mein Sohn ist sechs Jahre alt, er kommt in die erste Klasse. Er soll nach der Schule als einziger aus seiner Klasse alleine über drei Straßen spazieren und den Nachmittag in einer Gruppe von Schülern verbringen, die alle mindestens vier Jahre älter sind als er?

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Kann ich meinem Sohn das zumuten? Und wenn ich den Hauptschulplatz absage, habe ich dann noch eine Chance auf einen Nachrückplatz in der Grundschule? Oder denken die sich dann, so dringend kann es ja mit einem Hortplatz bei mir nicht sein, wenn ich den anderen abgelehnt habe? Und was wäre die Alternative? Gar kein Hortplatz? Das würde das Ende meines Studiums bedeuten. Aber kann ich mein Studium über das Wohl meines Sohnes stellen? Gehört es aber nicht auch zum Wohl meines Kindes, dass ich meine Ausbildung abschließe, um einen Beruf ergreifen zu können anstatt von Arbeitslosengeld leben zu müssen? Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich weiß nur, ich will mein Studium weiterführen. Und ich will, dass mein Sohn eine angenehme Schulzeit hat. Ich kann nicht begreifen, warum das ein Widerspruch sein muss, warum nicht beides möglich ist.

Donnerstag, 15. Mai 2014

Mittelalterliche Foltermethoden

Bereits im Mittelalter hat man Schlafentzug als Foltermethode eingesetzt. Seit ca. sechs Jahren kann ich sehr gut nachvollziehen warum.
Meine Tage beginnen grundsätzlich sehr früh, ganz besonders dann, wenn ich in die Schule muss. Im Gegensatz zu den meisten meiner Kommilitonen muss ich in der Früh nicht nur mich selbst wach bekommen, waschen, anziehen, füttern und mir Pausenbrote schmieren, sondern zusätzlich dasselbe auch noch für zwei weitere Personen erledigen. Meine Jungs und ich sind fast jeden Tag die ersten im Kindergarten. Zusammen mit zwei anderen Müttern, die offensichtlich ähnlich früh in der Arbeit erscheinen müssen wie ich, stehen wir pünktlich um Viertel nach Sieben vor der Tür und warten auf das Summen des Türöffners. Mein Wecker klingelt um 5:30.
Ich versuche, früh ins Bett zu gehen. Ich versuche es wirklich. Aber oft muss ich abends noch etwas lernen, noch etwas ausdrucken, noch etwas vorbereiten. Wenn ich einen guten Tag habe, schaffe ich es so gegen 23:00 ins Bett. Von 23:00 bis zum Weckerklingeln um 5:30 sind es sechseinhalb Stunden. Zu wenig für einen Siebenschläfer wie mich, vor allem über Tage, Wochen, Monate, Jahre hinweg. Ich leide also quasi an einem über Jahre angesammelten permanenten Schlafentzug. Wikipedia sagt, dauerhafter Schlafmangel führt zu „erhöhter Infektanfälligkeit, Kopfschmerzen, Denkstörungen, Müdigkeit, Halluzinationen und Reizbarkeit“. Das alles kann ich bestätigen.
Aber der Mensch gewöhnt sich ja an Vieles. Und so habe ich mich wohl auch halbwegs an den Zustand einer permanenten Übermüdung gewöhnt. Wirklich schlimm wird es aber in Nächten wie der vor zwei Tagen:
Den Wecker auf 5:30 gestellt, bin ich um 23:30 totmüde ins Bett gefallen, als ich mitten in der Nacht ein Geräusch höre. Meine Zimmertür geht auf, kleine nackte Füße tapsen über den Boden. „Bitte nicht,“ flüstere ich, hoffe, dass ich nur träume, weigere mich, die Augen zu öffnen. Wenn ich einfach weiterschlafe, wird es von alleine wieder weggehen.
„Mama?“
Es ist ein Traum, nur ein Traum, ich muss nicht antworten.
„Mama, ich hab Pipi ins Bett gemacht. Mein Schlafanzug ist nass, meine Decke auch und überhaupt das ganze Bett.“
Es ist kein Traum, es wird nicht weggehen. Vor mir steht Leo, er sieht zerknirscht aus. Der Radiowecker zeigt 3:27.
Müdigkeit, Kopfschmerzen, erhöhte Reizbarkeit, ja, ich weiß. Aber das ist keine Entschuldigung, ich darf ihn nicht schimpfen. Er macht so gut wie nie ins Bett. Und er ist ja noch nicht mal vier Jahre alt.
Ich quäle mich also aus dem Bett. Ich ziehe Leo den klebrigen Schlafanzug aus, stecke ihn unter die Dusche, kleide ihn frisch ein, ziehe das Bett ab, stopfe nasse Wäsche in die Maschine (Waschen morgen nicht vergessen!), ziehe frische Bettwäsche auf, kuschle das Kind wieder hinein, „gute Nacht, süße Maus“ und krieche selbst zurück ins Bett. Es ist 4:00. Ich hab noch anderthalb Stunden, schnell wieder einschlafen, morgen ist ein anstrengender Tag. Ich hab Schule, die dritte Stunde halte ich. Hab ich alle Materialien eingepackt? Ich darf in der Früh nicht vergessen, nachzuschauen. Vielleicht sollte ich jetzt nachschauen...? Nein, stopp, sofort aufhören zu denken, ich will schlafen, ich hab nicht mehr viel Zeit, ich bin müde und hab Kopfschmerzen. Komm schon, Mila, schlaf schnell wieder ein!
Ich drehe und wälze mich. Wenn das Denken einmal eingesetzt hat, lässt es sich so schnell nicht mehr abschalten. Gegen 5:00 falle ich in einen watteweichen Schlaf. Der nur wenige Minuten später vom unerbittlichen Weckerklingeln wieder zerstört wird.
Guten Morgen, Mila, ein neuer Tag beginnt! Raus aus den Federn, deine Schüler erwarten eine frische und motivierte Lehrerin!
Herzlich Willkommen im Mittelalter.

Freitag, 9. Mai 2014

To Do

Um nicht zu vergessen, was ich noch alles erledigen muss, schreibe ich ToDo-Listen. Genau wie viele andere Menschen auch. Meine liegt links neben mir auf meinem Schreibtisch, so dass mich ein kleiner Blick nach links jederzeit daran erinnert, was noch alles getan werden muss.
Ich hasse die Liste. Sie setzt mich unter Druck. Sie lastet wie ein riesengroßer Rucksack auf meinen Schultern. Und sie wird nie leer! Streiche ich eine Sache von der Liste, schreibe ich unten zwei neue dazu. Nie habe ich einfach mal alles erledigt. Es ist furchtbar. Und erdrückend.

Aktuell steht Folgendes auf meiner Liste:
  • Tierphysio lernen (Klausur am 12.5.!)
  • Deutsch-Seminar: Stunde ausarbeiten (Methodische, didaktische Analyse, Artikulationsschema, Material beschaffen/basteln)
  • Psycho Vorlesung auf Video Online anschauen
  • Kunst: versäumte Vorlesung nachlernen
  • Kunst: Referat vorbereiten
  • SU-Didaktik: Referat vorbereiten
  • Grundschulpädagogik: Arbeitsauftrag (Hausaufgabe)
  • Schulranzen für Julian kaufen
  • Termin bei Kinderärztin ausmachen (Leo, U8)
  • Um Hortplatz kümmern!!!
  • Zentrale Gebührenstelle: Unterlagen zwecks Kindergeld, Unterhalt, Lohnabrechnungen,... zusammensuchen/anfordern und einreichen
  • Hallenturnschuhe für Julian kaufen (helle Sohle!)
  • Schulstunde für Dienstag planen
  • Klassenausflug organisieren (Wohin?)
  • Geburtstag Leo planen
  • Fußballverein für Julian suchen (Organisation/Finanzierung klären)

Schon ein einziger Blick auf die Liste löst Resignation in mir aus. Wie soll ich das nur je alles abarbeiten? Und wann? Die alltäglichen Pflichten wie Aufräumen, Putzen, Einkaufen, Kochen, Waschen, Bügeln,... stehen ja gar nicht auf der Liste.
Ich versuche, die Punkte nach Dringlichkeit zu ordnen. Was muss am schnellsten erledigt werden? Was ist am wichtigsten? Das Problem dabei ist, dass die Dinge, die ich persönlich für am wichtigsten erachte, nicht gleichzeitig auch die dringlichsten sind.
Bio ist am dringlichsten. Wie immer steht Bio ganz oben auf der Liste, die Klausur steht an. Ich verdränge den Gedanken daran, dass Bio das ist, was eigentlich am unwichtigsten ist. Ich werde das, was ich da lerne, nie in meinem künftigen Lehrerleben brauchen. Trotzdem verschlingt es 90% meiner Studienzeit. Bulimie-Lernen ist dieses Wochenende angesagt. Kurz vor der Prüfung mit Fakten und Begriffen vollstopfen, bei der Klausur alles von mir geben und es danach wieder vergessen.
Der Hortplatz ist auch sehr wichtig. Und die Unterrichtsstunde, die ist direkt nach der Bio-Klausur, die muss ich also auch dieses Wochenende ausarbeiten. Der Termin für die Abgabe meiner Unterlagen bei der zentralen Gebührenstelle (die sind für die Kindergartenbesuchsgebühren zuständig) rückt auch immer näher, darum muss ich mich also auch schnell kümmern. Den Rest schiebe ich erstmal, bis es dringlicher wird.
Julians Schulranzen schiebe ich schon sehr lange, genauso wie die Sache mit dem Fußballverein. Dabei weiß ich schon seit Monaten, dass er sich wünscht, in einen Verein zu gehen. Ich muss aber erst einen suchen, der in der Nähe ist, einen finden, die Zeiten abklären, überlegen, wer das zahlen soll.
Warum muss ich immer die Bedürfnisse und Wünsche meiner Kinder schieben? Warum muss ich mich als erstes um Bio kümmern, das Unwichtigste von allem? Und um lästige Bürokratieangelegenheiten wie Hortplatz und Gebührenstelle? Da stimmt doch irgendwas nicht in meinem Leben. Die Prioritäten sind vollkommen falsch verteilt!

Mittwoch, 7. Mai 2014

"Niemand hat sie abgeholt."

Im Bio-Praktikum klingelte heute mein Handy. Das heißt, es klingelte natürlich nicht, weil ich mein Handy (selbstverständlich!) in der Uni immer auf lautlos habe. Wir mussten aber im Rahmen der Übung rechnen und in Ermangelung eines Taschenrechners benutzte ich mein Handy dafür. Und nur deshalb hab ich überhaupt gesehen, dass jemand anrief: Der Kindergarten. Wenn der Kindergarten anruft, ist das meist ein schlechtes Zeichen, weil dann entweder ein Kind vom Klettergerüst gestürzt ist, eine Platzwunde am Kopf hat, sich übergeben hat oder eine sonstige Katastrophe eingetreten ist. Aber hat der Kindergarten denn heute überhaupt noch offen? Es ist doch schon nach fünf. Weil die Bio-Übung heute bis 18h dauert, habe ich doch extra mit dem Papa ausgemacht, dass er die Jungs abholt. Was kann der Kindergarten denn nach den Öffnungszeiten noch von mir wollen?
Ohne weitere Erklärung flitze ich mit meinem Handy aus dem Praktikumsraum.
„Julian und Leo sind immer noch da.“
„Wie, immer noch da? Der Papa hat sie doch abgeholt.“
„Nein, sie sind immer noch hier. Niemand hat sie abgeholt.“
„Ich komme, geben Sie mir 10 Minuten!“
In Windeseile packe ich mein Zeug zusammen. Zum Glück sind wir so gut wie fertig mit unserem Versuch und die Dozentin des heutigen Kurstages ist ausnahmsweise verständnisvoll. Vielleicht hat sie selbst Kinder.
Ich renne zum Auto und gebe Gas (und da soll noch mal einer sagen, mit Kindern braucht man kein Auto!), ich bete, dass ich nicht geblitzt werde und rase los. Es ist genau 17 Minuten nach fünf, als ich vor dem Kindergarten zum Stehen komme. Vor der Tür steht die Erzieherin, Jacke und Tasche in der Hand, bereit zum Gehen, daneben meine Kinder, angezogen, wartend, den Rucksack auf dem Rücken. 
Niemand hat sie abgeholt.

Später hat er gesagt, es tut ihm Leid. Er hat da irgendwie was verwechselt, er dachte, das mit meiner 18h-Übung sei erst eine Woche später. Ob er es irgendwie wiedergutmachen kann?
Ich habe ihn morgen zum Reifenwechseln bestellt.

Montag, 5. Mai 2014

Alle Jahre wieder: Der Kampf um einen Betreuungsplatz

Betreuungsplätze für Kinder in München sind Mangelware. Weiß eigentlich jeder, oder? Vor fünf Jahren wusste ich es noch nicht. Oder ich machte mir zumindest keine Vorstellung von dem tatsächlichen Ausmaß. Mit einem einjährigen Julian spazierte ich damals in eine Kinderkrippe und wollte mein Kind anmelden. Die bearbeitende Erzieherin sah mich verwirrt an: „Dieses Kind wollen Sie anmelden? Aber es ist ja schon geboren!“
Nennt mich naiv, aber ich wusste tatsächlich NICHT, dass man sein Kind für eine Kinderkrippe anmelden muss, sobald man den zweiten Strich auf dem Schwangerschaftstest erahnen kann.
„Ich will ja auch gar nicht, dass er jetzt sofort in die Krippe geht,“ versuchte ich zu erklären, „aber vielleicht so etwa in einem Jahr...“ Kopfschüttelnd nahm die Erzieherin meinen Antrag auf: „Ein Krippenplatz in München, das ist wie ein Sechser im Lotto!“
Natürlich habe ich nie einen Platz für Julian bekommen. Ich musste ihn in eine private Elterninitiative geben, in der wir Eltern selbst gekocht, geputzt und für kranke Erzieherinnen eingesprungen sind.
Bei Leo dachte ich dann, ich bin klüger. Ich war in der 10. Woche schwanger, als ich ihn – oder vielmehr: es (damals wusste ich ja noch nicht einmal, dass es ein Junge werden würde) – in der Krippe angemeldet habe. Aber auch für ihn habe ich erst einen Platz bekommen, als er schon zwei Jahre alt war. So musste Leo davor ein Jahr lang eine private Krippe besuchen, die mich monatlich so viel gekostet hat wie eine Zweitwohnung.
In der Zwischenzeit hatte aber bereits der Kampf auf der nächsten Stufe begonnen: Ich brauchte einen städtischen Kindergartenplatz für Julian. Mittlerweile alleinerziehend konnte ich mir eine private Einrichtung auf gar keinen Fall mehr leisten. Und wieder einmal sammelte ich Absage um Absage (sieben Stück insgesamt). Erst im Nachrückverfahren hatte ich Glück und Julian bekam einen Platz.
Dann durfte ich ein Jahr lang entspannen. Über die Geschwisterregelung bekam Leo wunderbar problemlos einen Platz in demselben Kindergarten.

Aber jetzt geht es wieder von vorne los. Julian kommt im Herbst in die Schule. Diese Woche habe ich die erste Absage vom Hort bekommen. Ich erwarte weitere. Jeden Morgen öffne ich mit zitternden Händen den Briefkasten. Die Absagen von städtischen Einrichtungen sind rosa. Das Rosa sieht man schon durch das Sichtfenster im Brief, da braucht man ihn eigentlich gar nicht mehr aufmachen. Rosa Briefe von der Stadt sind keine zärtlichen Liebesbriefe, sondern lösen in mir – sowie bestimmt in vielen anderen Müttern – pure Verzweiflung aus. Rosa Briefe bedeuten: Mütter, zurück ins Haus! Schluss mit Arbeit, Selbstständigkeit, Studium.
Aber noch ist der Kampf nicht verloren. Noch bleibt das Nachrückverfahren. Noch gebe ich nicht auf. Tag für Tag werde ich in den Hort spazieren und dort alle zu Tode nerven. Solange bis das Sichtfenster des städtischen Briefs grün wird.